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Baltrums Postboten haben Hausnummern im Kopf

Foto: Sina Schuldt/dpa

«Moin! Möchtest du gerade Post für dich mitnehmen?» Baltrums Inselpostbote Andre Krandick streckt unvermittelt einen Brief in Richtung eines älteren Herrn mit Cappy, der gerade sein Damenrad an dem Postboten vorbeischiebt. Der Insulaner nimmt dankend an und trottet mit seinem Rad davon. Auf der gerade mal 500 Einwohner zählenden ostfriesischen Insel kenne jeder jeden, erklärt Krandick. Das erleichtere natürlich die Post-Zustellung. Krandick und seinen beiden Kollegen der Inselpost machen dagegen andere Unwägbarkeiten zu schaffen.

Der Inselpostbote ist an diesem frühen Nachmittag gerade auf seiner ersten Zustelltour des Tages unterwegs. Seine Arbeitszeit ist an keinen festen Dienstplan gebunden. «Unser Arbeitstag richtet sich nach der Fähre», erklärt der 37-Jährige. Denn wann die Fähre mit der Post für Baltrum von Neßmersiel auf dem Festland übersetzt, richtet sich nach den Gezeiten Ebbe und Flut. An diesem Tag hat die Vormittagsfähre drei Container mit Briefen und Paketen gebracht. Welche Menge sie erwartet, wissen die Postboten erst, wenn das Schiff am Hafen festgemacht hat und die Post mit der Inselspedition, per Pferdefuhrwerk, an dem kleinen Verteilzentrum ankommt. Im Schnitt stellt die Deutsche Post 610 Pakete und 2350 Briefe in der Woche auf Baltrum, der kleinsten der Ostfriesischen Inseln, zu. Die Zustellung auf der autofreien Insel geht zu Fuß, mit dem Rad und nur mit Muskelkraft. Bei jedem Wind und Wetter. «Hier ist es selten, dass der Regen mal von oben kommt», sagt Krandick während er mit seinem E-Bike von Haus zu Haus radelt. Für die Zustellung nutzen die Postboten auf Baltrum E-Bikes und ein sogenanntes Cube-Cycle, eine Art vierrädriges Liegerad mit einer Box für Pakete. Das anvisierte Ziel der Deutschen Post, ab 2050 Briefe und Pakete emissionsfrei zuzustellen, hat das Unternehmen auf Baltrum wie auf den meisten anderen Ostfriesischen Inseln daher schon erreicht. Noch mehr als Muskelkraft braucht Krandick bei seiner Tour vor allem eins: Durchblick. Denn auf Baltrum gibt es keine Straßennamen, nur Hausnummern - und die verteilen sich quer über die Insel, da die mehr als 300 Häuser in der Regel nach Erbauungsdatum nummeriert sind. Je höher die Hausnummer, desto jünger sind die Häuser. So kommt es etwa, dass Baltrums Supermarkt die Hausnummer 19 trägt, der gegenüberliegende Backshop, in dem auch die Paketannahmestelle ist, aber die Nummer 95. Was für Urlauber ein heilloses Unterfangen ist, die Unterkunft nach der Hausnummer ausfindig zu machen, ist für Krandick und seine Kollegen kein Problem. «Wir haben alle Hausnummern im Kopf», sagt der Postbote stolz mit einem Lächeln. Ganz ohne Straßennamen geht es dann aber doch nicht: Gerade viele Versandunternehmen setzten bei Bestellungen zwingend einen Straßennamen voraus, weiß Krandick, der bereits seit sechs Jahren die Post auf der Insel austrägt. Auf Baltrum behalf man sich daher mit der geografischen Bezeichnung der beiden Siedlungen «Westdorf» und «Ostdorf», die man bei notwendigen Angaben vor die Hausnummern setzt. Mittlerweile sind diese selbst bei Kartendiensten im Internet zu finden. Manche Bewohner hätten sich aber auch ganz eigene Wegenamen ausgedacht - wenn auch nicht offiziell, berichtet Krandick. So gibt es auf Baltrum den Hypothekenweg ebenso wie den Katastrophenweg. Der Trend zum Internet-Shopping habe nicht nur auf dem Festland für höhere Paket-Mengen gesorgt. Auch Insulaner und Urlaubsgäste ließen sich gern Waren auf die Insel liefern - zumal es auf Baltrum ohnehin nicht allzu viele Einkaufsmöglichkeiten gebe, erklärt der Postbote. «Haben wir Urlaubszeit, kann es schon mal eng werden», sagt Krandick. Jetzt in der Hochsaison im Sommer, wenn die Urlaubsgäste auf die Insel strömen, kann sich Baltrums Einwohnerzahl bis zu verzehnfachen. Meist seien es Alltagsgegenstände, die bestellt würden, Büroartikel oder auch mal Tierfutter. Denn einen Fachmarkt für Tierbedarf gebe es nun mal auf der Insel nicht, sagt Krandick. Briefe und Pakete werden im Verbundsystem ausgetragen - das heißt die Postboten fahren beides aus, was eben gerade auf den Routen anfällt. Eine Art «Inselaufschlag» dafür, dass die Fracht erst auf die Insel transportiert werden muss, gibt es nicht. Auch bei Höchstgewichten und -maßen gibt es keine Einschränkungen. Lediglich was zu groß für die E-Bikes ist, Sperrgut etwa, kommt mit der Inselspedition. Doch selbst, wenn die Liefermenge größer werde, aus der Ruhe bringen ließen sich die Inselpostboten nicht. Die Gäste kämen zum Entschleunigen auf die Insel, erklärt Krandick. «Wir entschleunigen da einfach mit», sagt er mit einem Schmunzeln und verteilt dabei fleißig weiter Briefe und Pakete. Welche Gästegruppen gerade auf der Insel urlauben, lasse sich ein wenig auch an der Post ablesen, erklärt der Zusteller. Im Frühjahr und Herbst gebe es meist viele Zeitungen auszutragen - vor allem für die «älteren Semester», wie Krandick freundlich sagt. Denn viele ältere Besucherinnen und Besucher ließen sich als Service gern noch ihre heimische Tageszeitung auf die Insel nachschicken. Im Sommer seien es dagegen besonders Postkarten, die die Zusteller vor allem von der Insel bringen. «Das ist ein ungebrochener Hype», sagt Krandick. Sieben Briefkästen werden auf Baltrum geleert. Kurz vor Ende der ersten Zustelltour klingelt schließlich Krandicks Handy. Ein Kollege ist dran. Die Nachmittagsfähre hat noch einmal Post auf die Insel gebracht. Diesmal sind es gleich fünf Container. «Da müssen wir uns nun ranhalten», sagt Krandick und schwingt sich wieder auf sein gelbes E-Bike. Schließlich sollen alle Pakete und Briefe heute noch ausgeliefert werden - immer im Takt der Gezeiten.