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Fleischbetriebe stocken Stammbelegschaft auf

Foto: dpa

In der Fleischindustrie hat das seit Jahresanfang geltende Gesetz für bessere Arbeitsbedingungen die Zahl der Festanstellungen in der Branche deutlich erhöht. Die großen Schlachtbetriebe in Deutschland haben ihre Stammbelegschaft stark aufgestockt. Bundesweit sind bei den nordrhein-westfälischen Unternehmen Tönnies (Rheda-Wiedenbrück) und Westfleisch (Münster) sowie bei Vion Deutschland im bayerischen Buchloe insgesamt rund 12 300 Werkarbeiter als Angestellte von Subunternehmen in die Unternehmensbelegschaften gewechselt, wie Firmensprecher mitteilten.

Tönnies, Westfleisch und Vion hatten entsprechende Programme im Zuge der Corona-Pandemie bereits im Sommer angekündigt. Nach zahlreichen Infektionen in der Belegschaft war die Fleischbranche im Frühjahr unter Druck geraten. Besonders die hohe Zahl der Werkarbeiter aus Osteuropa, von denen manche in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht waren, hatte Kritik ausgelöst. Die Schlachthöfe wurden zum Teil für Wochen geschlossen, um die Infektionsketten zu unterbrechen. Anfang des Jahres (2.1.) hatte die Zeitung «Neues Deutschland» über den Vollzug der Neueinstellungen berichtet. Die Kritik an den Zuständen in der Fleischindustrie findet sich auch im aktuellen «Fleischatlas», den der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung am 6. Januar in Berlin vorstellte. «Die industrielle Fleischproduktion ist nicht nur für prekäre Arbeitsbedingungen verantwortlich, sondern vertreibt Menschen von ihrem Land, befeuert Waldrodungen, Pestizideinsätze und Biodiversitätsverluste – und ist einer der wesentlichen Treiber der Klimakrise», sagte Stiftungs-Vorstandsmitglied Barbara Unmüßig. Nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums lag der geschätzte Pro-Kopf-Verzehr 2019 zwar bei 59,5 Kilogramm pro Einwohner und damit um 2,5 Prozent unter dem Wert des Vorjahres. «Im Jahr 2013 waren es noch etwa 66 Kilo pro Kopf», sagte Unmüßig. Eine echte Fleischwende aber sei nicht eingeleitet. Die Bundesregierung untersagte nach Berichten rund um Infektionen in den Schlachthöfen zum 1. Januar 2021 per Gesetzesänderung den Einsatz von Werkarbeitern im Kerngeschäft der Schlachthöfe im Bereich der Schlachtung und Zerlegung. Ab 1. April gilt auch mit Einschränkungen ein Verbot des Einsatzes von Zeitarbeitnehmern. Ausgenommen sind Handwerksbetriebe mit weniger als 50 Beschäftigen. Marktführer Tönnies kommt nach eigener Aussage mit den zusätzlich 6000 auf 12 500 festangestellte Mitarbeiter in Deutschland. Am Stammsitz in Rheda-Wiedenbrück sind 3500 ehemalige Werkarbeiter jetzt in der Stammbelegschaft. Tönnies hat 2019 einen Umsatz mit Fleischprodukten von 7,3 Milliarden Euro erzielt. Westfleisch mit Sitz in Münster hatte im Juni angekündigt, alle Mitarbeiter direkt einzustellen. Nach der Integration von etwa 3000 Werksarbeitern zum 1. Januar 2021 liegt die Zahl der Mitarbeiter bei rund 7000. Westfleisch hat 2019 knapp 2,8 Milliarden Euro umgesetzt. Die niederländische Vion-Gruppe hat an 16 Standorten in Deutschland zum Jahreswechsel zur bisherigen Belegschaft von 3000 rund 3300 Mitarbeiter von Subunternehmern fest eingestellt. Vion setzte 2019 mit dem Schlachten von Schweinen und Rindern 5,1 Milliarden Euro um. «Bei dem seit dem 1. Januar gültigen Gesetz haben wir nicht den Eindruck, dass es sich um Kosmetik handelt», sagte Johannes Specht von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). «Wenn die Branche das jetzt nicht verstanden hat, dass sich etwas ändern muss, dann ist denen nicht zu helfen. Und ändern heißt dann: faire Arbeit, mit Einhaltung der Gesetze und mit Tarifverträgen», sagt Specht. Das NRW-Arbeitsministerium verweist darauf, dass für die Kontrollen zum Verbot von Werkverträgen der Zoll als Bundesbehörde zuständig sei. «Zum Thema flächendeckender Tarifvertrag, für den sich Herr Tönnies ja ausgesprochen hat: Wir sind offen für Verhandlungen», sagt der Leiter der NGG-Tarifabteilung. Bislang habe die Gewerkschaft aber weder von Tönnies noch von den Fleischverbänden eine Antwort bekommen. Tönnies verweist dagegen auf die Zuständigkeit des Verbandes. «Schon im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens hat der Verband der Ernährungswirtschaft die NGG zu Gesprächen über Tarifverträge aufgefordert. Erst mit Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ist die NGG dann im Dezember auf den Verband zugegangen», sagt ein Sprecher. Erste Sondierungsgespräche sollen bald aufgenommen werden. Die Fleischindustrie verweist auf den Arbeitskräftebedarf in der Grillsaison im Sommer. Specht forderte auch hier Gespräche. «In anderen Wirtschaftsbranchen, die auch saisonale Schwankungen haben, gibt es sehr flexible Arbeitszeitmodelle. Schokohasen oder Bier werden auch nicht das ganze Jahr durch im gleichen Maße produziert», sagte Specht. Es liege in der Natur der Sache, dass es in dieser Zeit mehr Arbeit gebe. «Aber genau dafür gibt es dann Arbeitszeitkonten. Und das funktioniert auch», sagt der Gewerkschaftsvertreter. «Ohne unser Gesetz hätte sich nix in der Fleischindustrie bewegt. Die gesamte Branche wäre gut beraten, das neue Gesetz schnell umzusetzen und sich der Realität zu stellen. So, wie sich die Fleischindustrie in den letzten Jahren verhalten hat, wäre Demut angesagt», sagte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast. (Text: Carsten Linnhoff, dpa)