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Totengräber oder Heilsbringer? Shopping-Center in Innenstädten

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(dpa) - Mehr als 250 neue Läden auf einen Schlag: Vor fünf Jahren nahmen zwei neue Einkaufs-Malls die Stuttgarter Innenstadt im Süden und Norden in die Zange, ein weiteres befand sich im Bau. Der Einzelhandel nicht nur in Stuttgart, sondern auch in den Umlandgemeinden fürchtete um seine Umsätze. Auch der Oberbürgermeister hatte Bedenken. «Ich hätte nicht für drei neue Einkaufszentren in Stuttgart gestimmt», sagte Fritz Kuhn (Grüne) damals vor der Eröffnung.

Die Sorge war berechtigt. Denn schon vor fünf Jahren zeichnete sich ab, dass angesichts der Online-Konkurrenz Einkaufen allein niemanden mehr in die Innenstadt zieht. Selbst in großen Metropolen und sogenannten Toplagen geht die sogenannte Frequenz, die anzeigt, wie viele Menschen sich in der Stadt bewegen, inzwischen zurück. «Der Markt ist gesättigt, was Verkaufsfläche angeht», stellt die Geschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg, Sabine Hagmann, fest. Im Stuttgarter Gerber, Ende September 2014 eröffnet, stehen zehn Prozent der Flächen, die für Modegeschäfte gedacht sind, leer. «Die Strukturkrise des klassischen filialisierten Modegeschäfts macht sich leider auch im Gerber bemerkbar», heißt es beim Investor des Einkaufszentrums, der Württembergischen Lebensversicherung AG. Damit ist die Krise der Einzelhändler auch bei den Betreibern von Shopping-Centern angekommen. Und die ziehen Konsequenzen: Während das Immobilienunternehmen Unibail-Rodamco-Westfield in der Hamburger Hafencity gerade noch ein neues Einkaufszentrum baut, hat Konkurrent ECE, der größte europäische Einkaufscenter-Betreiber, schon eine radikale Abkehr angekündigt. Nur in Singen nahe der Schweizer Grenze, wo die wohlhabenden Nachbarn einkaufen sollen, wird noch ein neues Center errichtet. Ansonsten plant ECE erstmal keine weitere Shopping Malls mehr in Städten. «Wir analysieren derzeit alle unsere bestehenden Einkaufszentren und prüfen: Wo können wir andere Nutzungen außer Handel ansiedeln?», sagte ECE-Chef Alexander Otto jüngst in einem Interview mit «Zeit Online». Dabei sind auch gemischte Nutzungskonzepte schon lange gang und gäbe. Büros, Hotels und Wohnungen werden bereits seit Jahren auf und in Einkaufszentren gebaut - sowohl mit dem Stuttgarter Milaneo, als auch mit dem Gerber im Süden der Innenstadt wurde gleichzeitig Wohnraum geschaffen. Ein Parkhaus ist selbstverständlich. Andernorts setzt man inzwischen auf Gastronomie und Unterhaltung. Im Waterfront in Bremen habe man ein Jumphouse - eine Art Trampolin-Spielplatz - angesiedelt, heißt es bei ECE. Im MyZeil in Frankfurt eröffnet ein Premium-Kino, und in der Europa Passage in Hamburg gebe es Coworking-Flächen, kleine flexibel mietbare Arbeitsflächen vom Büro bis zum Schreibtisch. Sven Hahn, City-Manager von Stuttgart, hat die Hoffnung, dass solche Ideen die Innenstädte vor dem viel befürchteten Aussterben bewahren könnten. «Damit die Stadt funktioniert, braucht sie auch solche Anziehungspunkte», sagt er. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, gibt ihm Recht: «Auch heute wollen die Menschen immer noch Flanieren und Shoppen», sagt er. «Eine Innenstadt muss aber auch ein kommunikativer Treffpunkt sein, Erlebnisse über das Einkaufen hinaus bieten und zum Verweilen einladen.» Der Geschäftsführer des Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln, Boris Hedde, sieht das ähnlich: «Es gibt einen Perspektivwechsel weg vom Produkt hin zum Kundenbedarf.» Und der kann sich durchaus unterscheiden in einer kleinen Stadt, in der Shopping-Center den täglichen Bedarf decken, oder in einer Großstadt wie Hamburg, wo Kreuzfahrttouristen flanieren. «Es müssen Bequemlichkeit und Erlebnis berücksichtigt werden», sagt Hedde. «Jede Metropole braucht einen Mehrwert, um Menschen anzuziehen.» Das können auch zusätzliche Dienstleistungen sein. Hinter der Idee der digitalen Mall verbirgt sich, Gewohnheiten aus dem Online-Shopping mit dem stationären Handel zu verbinden. «Spannend ist auch, große Flächen in Einkaufszentren als Logistik-Hubs für Heimlieferungen zu nutzen», sagt Hedde. Denn in den Innenstädten der Großstädte zumindest fehlt häufig der Platz dafür. ECE hat dafür eine Kooperation mit dem Versandhändler Otto gestartet. Auf der Plattform können die Kunden sehen, welche Produkte die Händler im Laden vor Ort haben. «In Kürze wollen wir dann auch die Auslieferung aus den Centern an Kunden in der näheren Umgebung testen», sagt ein Sprecher. Auch Händler außerhalb der Einkaufszentren können sich anschließen. Ob das Innenstädte am Ende vor dem Aussterben bewahrt, bleibt abzuwarten. «Einkaufszentren sind weder Heilsbringer noch Totengräber, sondern sowohl als auch - je nach Standort», sagt IFH-Geschäftsführer Hedde.